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Auftakt der Walldorfer Musiktage 2021: Der Zauber des Geruchs von Holz

5. Oktober 2021 | > Walldorf, Allgemeines, Das Neueste, Kultur & Musik

Nachdem die Walldorfer Musiktage 2020 aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten, war es in diesem Jahr endlich wieder soweit.
Pünktlich zum Herbstanfang konnte der rote Teppich vor dem Walldorfer Rathaus ausgerollt und das Atrium des Verwaltungsgebäudes in einen, in blau-violettes Licht getauchten Konzertsaal verwandelt werden. Die nunmehr zwölften Walldorfer Musiktage stehen unter dem interessanten Motto „Visionen“.

Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter sowie Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, hat wieder ein spannendes und gut durchdachtes Programm mit zahlreichen „visionären“ musikalischen Kleinoden zusammengestellt. Allerdings hinterlasse die Pandemie ihre Spuren und das beliebte Musikfestival könne nur in einem deutlich kleineren Kreis stattfinden, erläuterte Otto Steinmann, Erster Beigeordneter der Stadt Walldorf, in seiner Begrüßungsansprache. Zutritt zu den Konzerten hat nur wer geimpft, genesen oder getestet ist und seine Eintrittskarte im Vorverkauf erworben hat. Abstand halten und Maske tragen bieten zusätzlich Sicherheit.
Dennoch zeigte sich Steinmann hocherfreut, dass das kulturelle Leben in Walldorf wieder Schritt für Schritt hochgefahren werden könne. Sein Dank ging an alle, die dies ermöglicht hatten, im Besonderen an Timo Jouko Herrmann, Hartmuth Schweizer (Titelbild), Heike Käller und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rathauses.
Herrmann sprach zu Beginn der Auftaktveranstaltung von einem emotionalen Moment, nicht nur für ihn als Musikbeauftragten, sondern auch als Künstler. Die lange Zeit des Schweigens habe bei allen Künstlern tiefe Narben hinterlassen, umso schöner sei es, jetzt wieder starten zu können. Glücklicherweise konnte das 2020 der Pandemie zum Opfer gefallene Programm in diesem Jahr unverändert übernommen werden.
Eine begeisternde Klangwelt versprach Herrmann für den Auftakt und sollte Wort halten. Das Duo „Gambelin“ bestehend aus Lucile Boulanger (Viola da Gamba, Lira da Gamba) und Christian Elin (Bassklarinette, Sopransaxophon) bezauberte das Publikum augenblicklich.
Die beiden sympathischen Musiker brachten nicht nur zwei Instrumente zusammen, die sich historisch nie begegnet sind, sondern verbanden auch Musikstile, zwischen denen drei Jahrhunderte Musikgeschichte liegen. So trafen hier Renaissance- und Barockmusik auf Jazz und Avantgarde. Besonders in Elins Eigenkompositionen waren die verblüffenden Ähnlichkeiten der Musizierpraxis von Barockmusik und Jazz deutlich zu vernehmen. Oft geschahen die Übergänge von einem Musikstil in den anderen nahtlos und absolut organisch. Und erst der Klang! Sopransaxophon und ganz besonders die Bassklarinette harmonierten bestens mit der Gambe. Es schien, als wären sie füreinander geschaffen worden. Eine wirklich zauberhafte, visionäre Idee, diese Instrumente zu kombinieren! Der wunderbarere weiche, angenehme und außergewöhnlicher Klang begeisterte das Publikum.
Gleich das erste Musikstück, eine Recercada von Diego Ortiz, versetzte die Zuhörer in einen tranceähnlichen Zustand. Es war wie das Eintauchen in eine völlig neue visionäre Klangwelt, die mit Stilmitteln nicht mehr beschrieben werden kann. Das Publikum wagte nicht einmal zu klatschen, um nicht diese zauberhafte Stimmung zu zerstören. An Begeisterung fehlte es allerdings nicht.

Mit großer Konzentration und Ruhe tauchten die Zuhörer in diese wunderbare Musik ein und ließen sich von ihr fesseln und forttragen. Stücke aus Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen klangen mit Sopransaxophon und Gambe völlig neu und faszinierend. Das Duo „Gamblin“ war nicht nur ein Hörgenuss, sondern auch ein Augenschmaus. Anmutig und mit großer Musikalität ließ Lucile Boulanger ihre wunderschöne sieben-saitige Gambe erklingen. Mit ebenso großer Musikalität und Ausdruck entlockte Christian Elin seinen Instrumenten die schönsten Töne. Das Zusammenspiel der beiden Musiker war absolut perfekt und organisch. Hier wurde gemeinsam geatmet und gefühlt. Zudem beherrschen beide ihre Instrumente virtuos. In Elins Komposition „La Chiesetta“ für Bassklarinette und Gambe wurde es sehr rhythmisch. Ganz tiefe brummige jazzige Töne entlockte Elin seinem Instrument, während Boulanger mit großen Bogenstrichen alle Saiten der Gambe erklingen ließ und so einen gitarrenähnlichen Klang erzeugte.
Elin versorgte das Publikum auch mit interessanten Information zu den Komponisten, Stücken und Instrumenten. So konnten die Zuhörer erfahren, dass von dem barocken Gambisten und Komponisten Sieur de Sainte Colombe kaum etwas bekannt sei, nicht einmal der Vorname. Das folgende Werk dieses relativ unbekannten Komponisten ging zu Herzen. Wunderbar getupfte Klänge der Bassklarinette vereinigten sich mit zarten Pizzicati der Gambe. Das barocke Werk ging nahtlos über in Elins Komposition „Nebelmeer“. Die verschiedenen Stile harmonierten so gut miteinander, dass die Übergänge fließend wurden. Die Gambe klang hier zeitweise wie ein Percussion-Instrument, indem Boulanger mit dem Holz des Bogens auf die Saiten schlug.
Für Claudio Monteverdis Sinfonia aus der Oper „L´Orfeo“ kam die 13-saitige Lira da Gamba zum Einsatz. Zuvor erklärte Boulanger, dass man mit diesem wunderschönen Instrument keine Tonleitern, sondern nur Harmonien spielen könne. Die Lira da Gamba wurde hauptsächlich zur Begleitung von Sängern verwendet. Dem anmutigen Werk für Lira da Gamba solo folgte nahtlos Elins Komposition „L´incantesimo del profumo di legno“ für Bassklarinette, Lira und Viola da Gamba über. Dieses Werk gab dem Konzert den Titel, denn übersetzt bedeutet es „Der Zauber des Geruchs von Holz“. Virtuos wurden hier Stilelemente aus Barock und Jazz verbunden. Mit modernen Spieltechniken entlockte Elin seiner Bassklarinette die seltsamsten, perkussionsartigen Töne. Ein wunderbarer Dialog mit der virtuos gespielten Gambe entstand. In Elins „Pelude and Hymne“ für Sopransaxophon konnte man nur staunen, wie der Künstler sein Instrument virtuos und scheinbar ohne zu atmen wie ein Perpetuum Mobile während des gesamten Stücks erklingen ließ. Zudem zeichnete sich diese Komposition durch feine dynamische Unterscheidungen aus. Mit dem letzten Werk des Abends – wie das erste Stück eine Recercada-  der „Recercada primeira“ von Elin schloss sich der Kreis. Mit diesem zauberhaften musikalischen Zwiegespräch verabschiedeten sich die beiden außergewöhnlichen Musiker vom Publikum. Jetzt konnte sich endlich der lange zurückgehaltene begeisterte Applaus Bahn brechen.

Zum Dank gab es noch eine Zugabe von Diego Ortiz mit auf den Nachhauseweg.

Text: Carmen Diemer-Stachel für die Stadt Walldorf

 

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