Bürgermeister Matthias Renschler (3.v.li.), der Erste Beigeordnete Otto Steinmann (li.) und die Walldorfer Delegation beim Besuch mit Ahrtal mit Richard Lindner (2.v.li.), dem Ortsvorsteher von Bad Neuenahr, und David Bongart (3.v.re.), Geschäftsführer des Vereins Zukunftsregion Ahr.
Aus der Soforthilfe ist längst Freundschaft entstanden
„Wir haben viel, viel mitgenommen“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler, als er sich bei Richard Lindner, dem Ortsvorsteher von Bad Neuenahr, für zwei spannende Tage mit vielen neuen Eindrücken bedankt. Manche schön, andere ergreifend, einige bedrückend. Das passt zur Situation im Ahrtal, in dem auch mehr als vier Jahre nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 die Gegensätze dominieren: hier der frisch sanierte Straßenzug, dort der Schuttabladeplatz. Neu gebaute Häuser stehen neben Ruinen, in denen seit der Flut nichts geschehen ist und vielleicht auch nichts mehr geschehen wird. Bagger und Kräne gehören wie selbstverständlich zum Stadtbild, der Wiederaufbau läuft und ist weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Gerade ist der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling vor Ort, um Peter Diewald, dem Ersten Beigeordneten der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, einige Förderbescheide des Landes zu überreichen. Beide danken den Besuchern aus Walldorf für die Unterstützung in den vergangenen Jahren.
„Es hat sich eine großartige Freundschaft entwickelt“, begrüßt Richard Lindner die Walldorfer Delegation, der neben Bürgermeister Renschler und dem Ersten Beigeordneten Otto Steinmann weitere Vertreter der Stadtverwaltung, der Gemeinderatsfraktionen und das Kommando der Feuerwehr angehören. Über die Wehr, die im Juli 2021 zur Soforthilfe vor Ort gewesen ist, war der Kontakt zwischen Walldorf und Bad Neuenahr-Ahrweiler entstanden, eine vom Gemeinderat beschlossene Spende in Höhe von 100.000 Euro (die sich durch private und Vereinsspenden um weitere 4000 Euro erhöhte) ist hier verschiedenen Projekten zugutegekommen, die von Vereinen, Bürgergesellschaften und der Feuerwehr umgesetzt werden. „Ihr seid diejenigen, die uns immer wieder Mut zugesprochen haben“, nennt Richard Lindner einen wichtigen Aspekt über die monetäre Unterstützung hinaus. Sowohl der Ortsvorsteher als auch der Walldorfer Bürgermeister bekräftigen, dass man die enge und gute Zusammenarbeit auch künftig fortsetzen möchte.
Wie enorm das Ausmaß der Katastrophe gewesen ist, veranschaulichen Richard Lindner und David Bongart, Geschäftsführer des Vereins Zukunftsregion Ahr, mit beeindruckenden Zahlen: So habe die Stadt in normalen Haushaltsjahren Investitionen von rund 37 Millionen Euro – nun habe man ein Schadensvolumen allein an städtischem Eigentum in Höhe von 1,4 Milliarden vor der Brust gehabt. „17 von 20 Ahr-Brücken waren zerstört“, sagt Lindner. Das gelte auch für acht von zwölf Kindergärten, je drei von vier städtischen Schulen und Sportanlagen sowie vier betroffene Sporthallen. Dazu kommen beschädigte Straßen auf einer Länge von zusammen 200 Kilometern im ganzen Stadtgebiet, ein geflutetes Kanalnetz mit 132 Kilometern.
„Wir wollten so schnell wie möglich die Infrastruktur wiederherstellen“, blickt der Ortsvorsteher auf die „glorreiche Zeit“ kurz nach der Katastrophe zurück, „in der wir agieren“ und „schnelle, unbürokratische Entscheidungen“ getroffen werden konnten. Heute sieht das leider oft anders aus: „Das Erste, was nach der Flut wieder funktioniert hat, war die Bürokratie“, sagt David Bongart. Zwar stehe über das Sondervermögen Aufbauhilfe viel Geld zur Verfügung, doch die Antragsverfahren seien kompliziert, die Fortschritte zäh. Derzeit habe man 983 Wiederaufbaumaßnahmen im kommunalen Plan, dafür mussten 620 Anträge gestellt werden, die Bewilligungssumme liegt bei 420 Millionen Euro. Erschwert werde alles dadurch, dass zwar der reine Wiederaufbau gefördert werde, Verbesserungen gegenüber dem Ist-Zustand von 2021 aber nicht.
David Bongart stellt den Besuchern aus Walldorf die Ziele und Projekte des Vereins Zukunftsregion Ahr vor, der sich um die Zukunftsfähigkeit im gesamten Landkreis Ahrweiler kümmern möchte. Dazu gehören unter anderem die Etablierung eines Fachkräftezentrums, eine geplante Flut-Dokumentationsstätte oder ein Arbeitskreis, der sich mit innovativen Projekten auf dem Feld der erneuerbaren Energien beschäftigt.
Beim Rundgang durch die Stadt beeindruckt besonders die Stippvisite im 170 Meter langen Kurhaus: 1903 bis 1905 im Neobarockstil erbaut, verfügt der große Festsaal über 700 Parkett- und 300 Balkonplätze. In den fünfziger Jahren fanden hier die Bundespressebälle statt. Von den enormen Schäden durch die Flut ist während der Führung durch Verena Zlomke vom benachbarten Steigenberger Hotel nichts mehr zu sehen.
Fast fertig ist auch der Wiederaufbau der Tennisanlage des HTC Bad Neuenahr, wo Annette Bartsch die Walldorfer Delegation mit vielen Informationen versorgt. Der 1920 gegründete Verein, langjähriger Ausrichter der deutschen Seniorenmeisterschaft, konnte vergangenes Jahr seine ersten sechs Tennisplätze auf der in den historischen Lenné-Park eingebetteten Clubanlage wieder in Betrieb nehmen, in der laufenden Saison sind die sieben weiteren dazu gekommen. „Es ist ein zähes Ringen“, sagt Annette Bartsch über das noch fehlende Kinderspielfeld und die Diskussionen um eine Tennishalle. Wie geschichtsträchtig die Anlage ist, belegt die Tatsache, dass hier 1961 Rod Laver ein Turnier gewonnen hat – der mit elf Grand-Slam-Titeln dekorierte Australier gilt als einer der besten Spieler seiner Zeit. Und ein Zeitungsartikel zur 50. Auflage der deutschen Seniorenmeisterschaft erwähnt mit Kurt Vogel auch einen Teilnehmer vom TC Walldorf in der Klasse Herren 75.
„Das größte Crowdfunding in Deutschland“ hat Winzer Peter Kriechel nach eigenen Worten mit dem Verein „Flutwein“ auf die Beine gestellt. „Eine Woche nach dem Ereignis hatten wir den Verein eingetragen“, erinnert er sich. Er selbst hat in der Flutnacht 40.000 Liter Wein verloren. Die Idee, die bei ihm und den anderen Winzern im Ahrtal aus dem Schlamm der überfluteten Keller geretteten Flaschen, auf Spendenbasis als Flutwein unter die Menschen zu bringen, hat viel zum Wiederaufbau beigetragen. Das Ergebnis: 55.000 Menschen spendeten fast 4,5 Millionen Euro, erhielten dafür zusammen rund 180.000 Flaschen Wein. „Die Botschaft war: Wir glauben an euch“, sagt Kriechel.
Der Walldorfer Feuerwehrkommandant Frank Eck und seine beiden Stellvertreter Jurek Dudler und Ralf Hirscher besichtigen darüber hinaus die immer noch provisorisch in Containern untergebrachte Atemschutzwerkstatt, machen sich ein Bild vom aktuellen Stand des Neubaus des Feuerwehrhauses in Ahrweiler, das von der Flut weggerissen wurde, tauschen sich über Technik und den Fuhrpark aus und erleben sogar noch einen Einsatz: Die „unklare Rauchentwicklung“ in den Weinbergen erweist sich aber zum Glück als die vergleichsweise harmlose Vorbereitung eines der im Ahrtal traditionellen Martinsfeuer.
Im unterhaltsamen Teil der Reise besucht die Gruppe aus Walldorf die „Klangwelle“, eine von Musik begleitete, spektakuläre Licht-Wasser-Präsentation im Kurpark von Bad Neuenahr – auch ein Zeichen dafür, dass trotz des längst noch nicht beendeten Wiederaufbaus das Leben in vielen Bereichen wieder in normalen Bahnen verläuft, und vor allem auch, dass man sich in der Tourismusregion längst wieder über Gäste freut. Als „Fluttourist“, so die klare Ansage, muss sich niemand fühlen. „Ganz herzlichen Dank für alles“, sagt Bürgermeister Renschler zum Abschied. „Das ist eine schöne Freundschaft, die aus einer tragischen Sache entstanden ist.“
Text und Fotos: Stadt Walldorf