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Aus dem Walldorfer Tagebuch von Gastkünstlerin Sanna Konda

23. Februar 2025 | > Walldorf, Allgemeines, Das Neueste, Kultur & Musik

Im Spätsommer 2024 beeindruckte Bad Wimpfen Gastkünstlerin Sanna Konda bei ihrem Besuch zur Uraufführung einer Komposition von Timo Jouko Herrmann.  Foto: privat

Zwei Glücksmomente in Bad Wimpfen

Auf der Autobahn zwischen Walldorf und Bad Wimpfen steht seit einem halben Jahr ein Stau, aber nur in der Gegenrichtung, weswegen mein Mann und ich auf dem Hinweg gemütlich an der langen Reihe stockender Autos vorbeifahren. Wir haben noch nie von Bad Wimpfen gehört und sind dementsprechend entzückt von dem pittoresken, hügeligen Städtchen, das uns im satten, warmen Licht des Spätsommers empfängt. Wir haben noch zwei Stunden Zeit bis zum Konzertbeginn in der Kirche, wir mäandern durch die Gassen.

Der Buchladen ist geschlossen, aber wir stöbern in einem öffentlichen Bücherschrank. Man kann dort ungeahnte Schätze finden, Zufallsbekanntschaften mit zukünftigen Lieblingsbüchern schließen. Mit geübter Hand ziehe ich unter den üblichen Verdächtigen einer solchen Büchertauschbörse – dicke Schinken von Ken Follett, Danielle Steel und Johannes Mario Simmel – ein kleines, dünnes Buch hervor, das mehr verblasst als grün ist: „Liebesreim auf Deidesheim“ von Rudolf Hagelstange.

Ein erfahrener Bücherspürhund weiß sofort, wann er auf einen Schatz gestoßen ist. Ich habe keinen Zweifel: Dieses Buch ist nur für mich bestimmt. Das Cover zeigt die Skizze eines Erkerturmes des Fachwerkstädtchens Deidesheim, außerdem ein kleines Emblem, zusammengesetzt aus Turm und Wappen, mit dem Schriftzug: „Deidesheimer Turmschreiber“. Das ist die nächste Karrierestufe nach „Walldorfer Scheunenschreiberin“; das ist, was ich werden möchte. Sagenumrankt ist das Dasein, das Deidesheimer Turmschreiber führen. Niemand weiß so richtig, wie man es wird, aber es ist überliefertes Wissen, dass der Turmschreiber täglich mit zwei Flaschen des vorzüglichen Deidesheimer Weines versorgt wird.

Wer als Bücherspürhund so erfahren ist, dass er – vor der Zeit öffentlicher Bücherschränke – noch in Antiquariaten gelernt hat, sucht in Büchern sofort nach Dokumenten, Signaturen, Büchereistempeln und weiteren Hinweisen auf die Geschichte des gefundenen Exemplars. Ich habe Glück und finde im Buch einen Schatz im Schatz: einen Zeitungsausschnitt mit dem Titel „Großer Lyriker und Erzähler. Zum Tode des Schriftstellers  Rudolf Hagelstange“. Der Artikel erwähnt sogar den schmalen Gedichtband in meinen Händen: „Die Frucht seines Turmschreiberdaseins in Deidesheim war das Bändchen Liebesreim auf Deidesheim. Hagelstange hat damals nicht nur seine Liebe zu Deidesheim, sondern zur Pfalz überhaupt entdeckt. Der Weinkenner in ihm wird ihm dabei Hilfestellung geleistet haben.“

Während wir weiterspazieren, ein Café finden und in der tiefer sinkenden Sonne neuen Wein trinken, träume ich weiter von meiner Zukunft als Deidesheimer Turmschreiberin. Ich träume immer noch, als wir den Hügel zur evangelischen Kirche hinaufwandern. Die ersten Reihen der Kirchenbänke sind für die Stadt Walldorf reserviert. Ein älterer Herr hat es auf einen Platz auf der Walldorfer Bank abgesehen. Er fragt mich angeheitertes „junges Fräulein“, das er wohl eher nicht für eine offizielle Repräsentantin der Stadt Walldorf hält, ob man denn überhaupt damit rechnen könne, dass da jemand aus Walldorf käme. Ganz viele, sage ich und erzähle ihm ungefragt von dem außergewöhnlichen Engagement der Walldorfer, von der Familie Klein und ihrer Geschichte, vom Musikbeauftragten und Komponisten Timo Jouko Herrmann. Und das an einem Sonntag, sagt der Mann pikiert und setzt sich neben mich. Was denn meine Funktion sei? Als hätte ich auf dieses Stichwort gewartet, erzähle ich ihm aufgeregt von meiner Stadtschreiberei und der zukünftigen Turmschreiberei, zeige ihm auch Hagelstanges Büchlein als Beweis, dass die Sterne gut für mich stehen. Während er in den Gedichten blättert und murmelt, dass das bestimmt was wird, legt mein Mann seinen Arm um mich und nennt mich „mein Turmfräulein“.

Es wird absolut still in der Kirche. Die vergnügte Sonntagsstimmung verwandelt sich mit den ersten Tönen in Andacht und ein großes Staunen. Um meine Kenntnisse der klassischen Musik ist es nach wie vor schlecht bestellt, aber in mir entsteht tiefe Trauer und gleichzeitig Trost. „An Affirmation of Life“ lässt Leben und Tod zusammenfließen. Alle Menschen um mich herum lauschen mit jeder Faser ihres Körpers und es ist ein großes Glück, sie dabei anzusehen. Timos Gesicht leuchtet. Mein Mann ist ganz in sich versunken. Auf den Gesichtern der Kinder von Kurt Klein ist zu lesen, warum sie den weiten Weg über den Atlantik in den Ort angetreten haben, aus dem ihr Vater einst vertrieben wurde. Nicht nur sie scheinen den Tränen nahe. Das Andenken ist in den Gesichtern um mich herum lebendig. Nach dem Konzert treten wir auf den Vorplatz der Kirche in einen purpurnen Abendhimmel, der aussieht, als hätte Caspar David Friedrich ihn gemalt und als hätte sich die Welt mit uns durch die Musik verwandelt.

Auf der Autobahn zwischen Bad Wimpfen und Walldorf steht seit einem halben Jahr ein Stau, weswegen wir von allen Walldorfern für den Rückweg mit verwirrenden und widersprüchlichen Informationen versorgt werden. Eine Vielzahl denkbarer Umfahrungsmöglichkeiten wird ausschweifend diskutiert. Mein Mann, für den ich all dies von einer in die andere Sprache zu transportieren versuche und der dann eine Minute über Google Maps meditiert, kommt zu folgendem Schluss: Es ist am einfachsten, wenn wir uns einfach kurz in den Stau stellen. Tatsächlich sind wir als Erste wieder zurück in Walldorf.

 

Text: Sanna Konda

 

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